“Heile Welt sind wir nicht, dafür sind wir zu oft traurig”

Dabu Fantastic erzählen, was sie auf der neuen Tournee fürchten, wie Corona das Bandleben verändert und was die Krebskrankheit von DJ Arts ausgelöst hat.

 

"Im Rahmen des kommenden Albums «So Easy» arbeitet ihr mit Chören auf dem Land. Wägewerum eigentlich?»

Dabu: Weil es auf dem Land wunderbare Sachen gibt, zum Beispiel Vereine und musikalisch eben auch Chöre. Weil ich selber ein Landkind bin. DJ Arts übrigens auch, er gibt es aber weniger gern zu. Ich wohne heute in der Stadt und fühle mich hier immer wieder noch als Fremdkörper. Ich finde es extrem wichtig, dass man Brücken baut zwischen diesen beiden Welten. Sie werden heute eher auseinandergedrängt. Das ist die politische Komponente. Und musikalisch gesehen: Wir haben ein Choralbum gemacht. Nicht mit Gospelchören, sondern mit Chören, wie es sie in Vereinen in der Schweiz so gibt.

 

Aus welchen Orten kommen dies Chöre?

DJ Arts: Auf dem Album haben wir mit «Molto Cantabile» gearbeitet, einem Chor aus Luzern. Im Vorfeld unserer aktuellen Single «So Easy Wenn Du Da Bisch» haben wir zusätzlich einen Aufruf auf unseren sozialen Medien gestartet, dass wir Chöre suchen, die das Lied singen, bevor es draussen ist. Das war witzig, da haben sich Chöre aus der ganzen Deutschschweiz gemeldet. Darunter natürlich sehr viele Landchöre.

 

Ihr seid immer wieder politisch. Trefft Ihr den Ton auf dem Land?

DJ Arts: Das ist schwierig zu sagen, schliesslich gibt es ja auch auf dem Land verschiedene politische Meinungen. Wir passen uns aber nicht extra an, das ist uns scheissegal. Und wer nicht ehrlich ist, trifft den Ton erst recht nicht. Wenn mir etwas wichtig ist, dann äussere ich mich dazu.

 

Ihr steht also nicht auf die Bühne und sagt: Lasst Euch impfen?

DJ Arts: Das vielleicht schon. Aber wir sagen nicht: Wer sich nicht impft, ist ein Arsch.

Dabu: Wenn wir ein Konzert spielen, ist unsere Hauptaufgabe, den Leuten eine gute Zeit zu schenken. Wenn man sieht, was auf der Welt passiert, ist das eine grosse Aufgabe. Wenn man zusätzlich noch eine Message einflechten kann, ist das schon recht viel.

 Dabu

Was hat Corona aus Euch gemacht?

DJ Arts: Ich habe heute gelesen, dass viele Leute seit der Pandemie eine neue Jeansgrösse haben. Sie haben zu- oder abgenommen. Ich glaube schon, dass Corona einige Denkprozesse in Gang gesetzt hat. Sachen wie: Wieso mach ich das überhaupt? Ist das gut oder schlecht? Sehr grundlegende Gedanken, manchmal auch unangenehme.

Wir waren nicht mehr permanent im Hamsterrad, und haben uns natürlich gefragt: Will ich das überhaupt, Musiker sein? Unser Pianist fand zum Beispiel heraus, dass er das nicht mehr will und hat aufgehört.

 

Dabu, du arbeitest 100 Prozent als Musiker. Wie ging das?

Dabu: Das war extrem. Wir haben eine Tour begonnen und nach drei Konzerten abgebrochen. Darauf habe ich mir gesagt, dass ich jeden Tag ein Lied schreibe, das gab mir Halt. Und ich muss auch sagen: Es hat mich in einer stabilen psychischen Phase getüpft. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich konnte es darum auch geniessen. Ich arbeitete zu Hause - ohne Druck. Das hat mich extrem befreit.

 

Was ist für Euch Druck?

Dabu: Die komplette Messbarkeit. Du siehst, wie viele Leute dich gerade in diesem Moment streamen, wie viele Tickets du verkauft hast.

DJ Arts: Du kannst verfolgen, wie viele die Songs speichern, wie viele sie wieder abbrechen. Du hast zudem auch immer den direkten Vergleich zu den anderen Bands. Das kann dich fertig machen.

Dabu: Meine Musik soll die Herzen der Leute erreichen und nicht möglichst schnell, möglichst viele Klicks machen. Das wurde mir in der Corona-Zeit bewusst und förderte den Gedanken: Scheiss auf das alles. Das sollte man im neuen Album auch etwas hören: Musik, die wir so wollen.

 

Ist es ein Corona-Album?

Dabu: Nicht unbedingt, es hat auch ältere Songs drauf. Aber es sind durch Corona Schleusen aufgegangen für Emotionen. Das Abgestumpfte war plötzlich weg. Ich bin emotionaler geworden.

 

War das bei Dir auch so, DJ Arts?

DJ Arts: Ja, voll. Ich bin früher mehr der kalte Typ gewesen. Das bin ich heute nicht mehr. Ich habe ja Familie und Kinder. Uns hat Corona am Anfang natürlich fertiggemacht: Krippe zu, alle daheim, Homeoffice, ich konnte nicht raus. Das war schon deftig.

 

Wie war es als Band?

Dabu: Ich habe gehört, dass es für Hecht sehr schwierig war. Für uns aber überraschenderweise nicht. Klar, unser langjährige Pianist Yves hat die Band verlassen aber abgesehen davon haben wir aber alle immer Bock gehabt, Musik zu machen. Wir spielten kleinere Konzerte, wir gingen ins Studio. Ich finde, dass wir heute noch bewusster Musik machen und zwar bewusst mit dieser Band.

DJ Arts: Aber das mussten wir uns in dieser Zeit schon noch einmal überlegen.

 

Es gab schon einmal einen kritischen Moment in Eurer Bandgeschichte. Du hattest Krebs, DJ Arts. Wie war das?

DJ Arts: Hey, das ist lange her.

Dabu: Weil wir Yves zum Abschied ein Bilderbuch schenkten, habe ich kürzlich die alten Fotos angeschaut. Diese Hardcoreglatze - das fährt schon ein wenn ich sie jetzt sehe. Ich habe ja eine Tendenz dazu, viel zu arbeiten, wenn mich Sachen belasten. Das war damals auch so. Mich hätte das viel mehr berühren sollen. Das meinte ich vorhin mit “abgestumpft sein”. Das darf einfach nicht vorkommen. Es hat mich schon bewegt damals, aber nicht so, wie es das sollte, wenn der beste Freund Krebs hat.

DJ Arts: Es war auch nicht der schlimmste Krebs, den es gibt. Aber ja, ich bin damals natürlich mit anderem beschäftigt gewesen. Ich war ein halbes Jahr weg vom Fenster. Du bist im Spital, versuchst gesund zu werden und hast keine Energie für gar nichts. Das erste Konzert danach war speziell, das weiss ich noch genau, in Kloten, drei Wochen nach der Chemo, ich war total kaputt. Das ist dann zum Glück gut gekommen. Aber ja: Ich habe während dieser Zeit nicht mitbekommen, wie es der Band geht.

Dabu: Wie lange sind wir nun zusammen? 15 Jahre? Da bist du automatisch eine Familie. Du warst krank, beim anderen stirbt irgendjemand, wir bekommen das alles mit und das schweisst eine Band zusammen.

 

Wenn man vom Guten ausgeht: Was hat Euch diese Krankheit als Band gebracht?

DJ Arts: Als Band? Keine Ahnung. Es ist krass, wie schnell ich das vergesse. Aber in den ersten Jahren danach habe ich mir schon Gedanken gemacht im Sinn von: Ich muss nun einen anderen Weg gehen. Wenn du dir einmal im Leben über längere Zeit überlegst, was passiert, wenn du stirbst, dann wirst du schon ein anderer Mensch. Zum Glück hatte ich damals noch keine Kinder. Mit Kinder wäre das eine andere Liga gewesen.

Dabu: Es ist schon auch krass, wie man dann einfach weiter macht und sagt: Das Showbusiness läuft halt. Und da gehört es dazu, dass alles supertoll aussieht. Unter anderem deswegen haben wir ja damit begonnen. Wir haben auch weitergearbeitet, weil es geil ist, weil es hilft, die Sache zu bewältigen. Aber jedes Mal, wenn solche existenzielle Situationen aufkommen, macht man sich grundlegende Gedanken, man wird stärker und scheisst ein bisschen mehr auf das, was andere Leute sagen.

 

Ihr habt vor zehn Jahren entschieden, dass Ihr von Hip Hop in Richtung Pop geht. Wegen des Traums vom grossen Showbusiness?

Dabu: Erstens wollte ich schon immer Pop machen und zweitens schon immer auf grossen Bühnen spielen. Bei Andi war das früher etwas anders.

 

Du hast Deine Seele verkauft?

DJ Arts: Ich habe sie verleast. Nein, es gab nie der Moment, in dem wir gesagt haben: So jetzt. Es war immer eine organische Entwicklung, es hat sich so ergeben. Klar überlegt man sich beim Songwriting, wie sinnvoll es ist, mit einem achtminütigen Gitarrensolo zu beginnen, wenn das dann doch niemand hört. Aber gerade beim neuen Album, haben wir wieder voll das gemacht, was wir wollen.

Dabu: Es ist am Schluss immer wieder auch die Frage: Welcher Antrieb von dir ist intrinsisch und welcher extrinsisch? Wenn beim Gurtenfestival 10‘000 Menschen Angelina singen, wird das danach einfach zu einem intrinsischen Antrieb. Du willst das wieder erleben. Ausser du bist ein kompletter Eisblock.

 

Mit dem neuen Album geht Ihr musikalisch aufs Land. Was macht Ihr, damit es nicht heisst: Die kopieren Bligg oder den Trauffer.

DJ Arts: Das wäre das Schlimmste, wenn die Leute uns als Kopie wahrnehmen. Unser Ding ist aber real und nicht aufgesetzt und auch keine Werbeveranstaltung. Darum wird das wohl zu keinem Problem.

Dabu: Und ab und zu ein politisches Statement hilft, um nicht anbiedernd und schlabbrig zu wirken. Ich kreide das Bligg zum Beispiel wirklich an, dass er sich nie politisch äussert. Trauffer hat das gemacht, bei der NoBillag-Initiative. Bligg einfach nie. Das ist schade. So wollen wir nicht sein. Heile Welt sind wir nicht. Dafür sind wir zu oft traurig.

 

JJbrands.ch bedankt sich bei allen die zu diesem Interview beigetragen haben, sowie natürlich bei Dabu und DJArts für die offenenen Worte.